Stefan war erst 30, aber zurzeit fühlte er sich wie ein alter Mann. Vor kurzer Zeit noch war er vollkommen zufrieden, aber jetzt fühlte er sich alt, ausgebrannt. Der jungen Frau gegenüber schien es genauso zu gehen, sie war wohl Ausländerin, Türkin, vielleicht.
Stefan war genau das, was man einen Karrieremann nennen konnte. Er hatte die Schule mit einem überdurchschnittlich guten Abitur abgeschlossen, hatte sein Studium in kürzester Zeit hinter sich gebracht. Wirtschaft und Sprachen waren immer seine Passion. Neben seinem Studium hatte er lange Jahre Sprachunterricht gegeben. Eine wunderbare Kombination. Beide Fächer waren eine perfekter Ausgleich füreinander gewesen. In Deutschland und in den USA erfolgreich, als er aus Amerika zurückgekommen war, hatte er schnell eine feste Anstellung bei einem großen Konzern gefunden.
Er hätte es eigentlich finanziell nicht gemusst, aber zum Ausgleich hatte er wieder angefangen, Englisch zu unterrichten. Ein paar Stunden am Samstagvormittag wurden so einem willkommenen Ausbruch aus der Bürotristess und Eintönigkeit.
Doch dann war es passiert, jener neue Kurs. Jener seltsame Student. Es war ihm gleich zu Beginn komisch vorgekommen, wie ein Asiate in Deutschland Englisch lernen konnte. Im Unterricht dann war alles wie immer gewesen, die Leute hatten sich einer nach dem anderen vorgestellt. Es war ein bunt gemischtes Publikum, das da sein Englisch etwas auffrischen wollte: Schüler, die kurz vor einer Prüfung standen, eine Sekretärin, die ihren Job wechseln wollte, ein Richter, der im internationalen Bereich tätig war und schließlich jener besagte asiatische Student; schlicht ein Sammelsurium aus verschiedensten Motivationen. Es schien ein ganz normaler Kurs zu werden, ein gemütlicher Samstagvormittag, wie auch andere seit längerer Zeit.
Zwei Wochen war der Kurs nun schon alt und sie hatten bereits verschiedene Themen abgehandelt, sie hatten begonnen die Grammatik aufzufrischen, aber den meisten ging es darum, möglichst viel zu sprechen. Er hatte ein bisschen von sich erzählt und dabei war ihm aufgefallen, dass dieser Lu, so hieß der asiatische Teilnehmer, ihn unentwegt intensiv ansah, ganz so als wolle er etwas von seinen Lippen ablesen. Irgendwie kam ihm das komisch vor, aber er dachte sich nicht sonderlich viel dabei, er hatte ja schon eine Menge bizarrer Personen in solchen Kursen kennen gelernt.
Nach Ende des Kurses war dieser Lu, und das hatte ihn sehr gewundert, da die meisten Asiaten eher zurückhaltend sind, zu ihm geeilt und wollte ihn zum Kaffee einladen.
„Stefan, ich habe heute Nachmittag viel Zeit und möchte mein Englisch etwas verbessern. Hätten Sie Zeit für einen Kaffee?“
„Nein, danke. Ich habe heute noch einen Termin, das geht leider nicht, ein anderes Mal vielleicht.“
Aber es würde wohl kein anderes Mal geben, das hatte er sich in seiner doch nicht ganz so kurzen Karriere als Englischlehrer zum Vorsatz gemacht. Solange ein Kurs läuft gibt es keinen privaten Kontakt mit den Kursteilnehmern. Auf diese Weise ließe sich möglicher Ärger gleich von vorn herein ausschließen. Andere Teilnehmer könnten sich benachteiligt fühlen oder sonst irgend wie ein schlechtes Gefühl haben. Das wollte er auf jeden Fall vermeiden. Alle sollten gleich behandelt werden.
Heute Abend konnte er ohnehin nichts mehr machen, da er morgen ja wieder ins Büro gehen musste und dort musste er sich von seiner besten Seite zeigen. Das hieß er musste ausgeschlafen sein.
Die Woche im Büro verlief wie immer; die üblichen Fälle, kleine und große Probleme der Klienten. Jeden Morgen gegen halb neun erschien er in der Kanzlei, jeden Abend gegen acht Uhr fuhr er wieder nach Hause. Seit er wieder aus den USA zurück war verbrachte er viele Abende mit Chatten. Es war die beste Möglichkeit mit den Freunden in Übersee in Kontakt zu bleiben. Wie so oft ging Stefan als auch an diesem Abend nach einem kleinen Abstrecher im Happy Dragon, einem vietnamesischen Restaurant um die Ecke, ziemlich müde nach Hause.
Endlich zu Hause angekommen, ließ er sich erschöpft in einen Sessel fallen. Kurze Zeit später war er eingedöst.
Ringggg! Was war das? Jäh wurde er aus dem Halbschlaf gerissen. Es klingelte an der Tür, das war unmöglich, er musste sich verhört haben, es war ja schon halb elf. Wer konnte das denn nur sein? Um diese Uhrzeit? Er ging an die Sprechanlage. Erst einmal nachsehen, um diese Uhrzeit konnte man ja nie wissen, was einen da so erwartete. Vielleicht war es wieder einer seiner seltsamen Nachbarn und wollte sich etwas ausleihen. Wer auch immer, um diese Uhrzeit...
Er nahm den Hörer der Sprechanlage.
„Hallo!“
Keine Antwort.
„Hallo, wer ist da?“
Niemand antwortete, doch plötzlich hörte er ein stöhnen am anderen Ende der Leitung.
„Hallo! Hallo!“
Wieder keine Antwort.
Etwas verwirrt legte er den Hörer wieder auf. Was war denn das gewesen? Wahrscheinlich irgendein dummer Jugendlicher aus der Nachbarschaft. Egal – es war spät und irgendwie Zeit den Tag zu beenden.
Gott sei Dank war heute Freitag, morgen frei. Wochenende! Das waren die letzten Gedanken, schon war er eingeschlafen.
Unglaublich, wer konnte es um diese Uhrzeit anrufen? 6.13 Uhr, was für eine unmögliche Uhrzeit. Vielleicht seine Mutter, aber am Samstag? Unmöglich. Unbekannte Nummer.
Er drückte den Anruf einfach weg. Um diese Zeit kann es nicht wichtig sein. Keiner seiner Freunde käme jemals auf die dumme Idee so früh anzurufen.
Müde drehte er sich wieder um und schlief weiter.
Um 10 Uhr klingelte das Telefon wieder schlaftrunken, nahm er ab.
„Hallo Stefan, hier ist Lu!“
„Ja.“
„Ich würde Sie heute gerne zum Essen einladen.“
„Ok.“
„Um 12 Uhr, ich hole Sie dann ab.“
„Was?“
Biep-biep-biep. Einfach aufgelegt – was war das eben gewesen?
Das kann doch wahr sein, wie kommt der denn bloß auf die Idee, dass ich mit ihm essen gehen will?, dachte er sich. Langsam wurde ihm die Geschichte zu bunt.
Auf alle Fälle musste er jetzt aufstehen, denn, falls es der Typ tatsächlich wagen sollte aufzutauchen, sollte er wenigstens wach sein, um ihn wegzuschicken.
Vielleicht war es aber auch ganz anders, als er dachte. Vielleicht war der Neue nur ein bisschen alleine. So ist das nun mal, wenn man neu in einer Stadt ist, die man nicht kennt. Zu gut kannte Stefan selbst diese Erfahrung aus seinem Jahr in den USA. Manchmal kann man sich verdammt einsam fühlen, und dann klammert man sich an jeden, der auch nur ansatzweise sympathisch zu sein scheint. Möglicherweise war das auch hier der Fall, man konnte ja nie wissen. Vielleicht sollte er ihm eine Chance geben, auch wenn sich so ein Überfall überhaupt nicht gehörte.
Na ja, ein Essen würde er schon überleben, dabei könnte er dann ja auch einiges klarstellen.
Pünktlich um 12 klingelte es und Lu stand lächelnd vor der Tür.
„Du bist aber pünktlich!“
„Ja, ich habe einen Platz in einem Restaurant ganz in der Nähe reserviert.“
Kaum hatte er sich versehen, war Stefan schon auf dem Weg auf die Straße. Lu erzählte ununterbrochen irgendwelche Geschichte, wie sehr gerne er doch hier in der Stadt lebe und wie wenig er sein Zuhause vermisse.
Schließlich landeten sie in einem japanischen Restaurant, 东京. Es sah gar nicht so schlecht aus, ein bisschen klein, aber gemütlich.
„Woher hast du eigentlich meine Telefonnummer?“
„Von der Sekretärin, aber das war gar nicht so einfach, denn sie wollte sie mir eigentlich gar nicht geben, das hat einige Mühe gekostet. Aber es war mir die Mühe wert.
„Aha.“
„Ich musste dich einfach treffen.“
„Wie bitte, warum denn?“
Nun, ich kenne niemanden in der Stadt und so wollte ich dich fragen, ob du mir nicht privaten Unterricht geben könntest; oder noch besser, ob wir nicht vielleicht einen Sprachaustausch machen könnten. Du weißt schon...“
„Also, ich weiß nicht...“
„Du weißt schon wir könnten viel von einander lernen.“
„Nein, so etwas möchte ich nicht, ich habe einfach keine Zeit eine weitere Sprache zu lernen.“
„Oh.“
Wenn er jetzt sagen würde, dass er nur gegen Geld Sprachunterricht gebe, würde sich das Problem vielleicht von alleine lösen und Lu würde einen Rückzieher machen; also einen möglichst hohen Preis und dann war vielleicht Ruhe.
„Also, eigentlich gebe ich keinen privaten Unterricht, weil ich keine Zeit zu so etwas habe, aber wenn du unbedingt willst, für 50€ pro Stunde könnten wir das irgendwie machen.“
„Okay.“
Mist, bei diesem Preis hatte er gedacht, dass er sicher seine Ruhe haben würde, aber, unglaublich, der Typ schien Geld wie Heu zu haben.
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