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Wohnen in China

 

My home is my castle - dieser Satz gilt für China ganz besonders. Seitdem der private Besitz von Wohnungen in den 80er Jahren zugelassen wurde, brach im Reich der Mitte ein unglaublicher Bauboom aus. Ein Ende dieses Booms ist zumindest in nächster Zeit nicht zu erkennen, weil es ja noch immer großen Bedarf an Wohnraum gibt. Schon heute bestehen die meisten chinesischen Großstädte vor allem aus Hochhaus- und Wohnblocksiedlungen, dieser Trend wird sich in nächste wohl eher noch verstärken.
Im Gegensatz zu Europa, wo eine gewisse Hochhausphobie herrscht, gilt es in China, wie in den meisten asiatischen Ländern, eher als schick und modern, möglichst hoch über dem Gewimmel der Stadt zu leben. Während in Europa eher sozial benachteiligte in luftiger Höhe wohnen, sind es in China eher die Menschen, die auch sonst auf der Sonnenseite der Gesellschaft stehen.      
Doch nicht nur das Wohnen in gewissen Sphären erfreut sich größter Beliebtheit, auch die Struktur der gesamten Stadt unterscheidet sich im Wesentlichen von der europäischer Städte. Nach den Wirren von Kriegen und Bürgerkriegen ist nicht viel von der ehemaligen Form und Bebauung geblieben.
Heute ähneln viele Städte eher dem, was man in Amerika erwarten würde: Wolkenkratzer, Hochstraßen, ein endloses Häusermeer. Peking ist ein gutes Beispiel für eine geplante Stadt. In den 70er Jahren prägten vor allem Hutongs, traditionelle einstöckige chinesische Wohnhöfe, und farblose Plattenbauten das Gesicht Pekings. Heute sind diese weitgehend modernen Wolkenkratzern und Autobahnen gewichen.
Jeder Europäer hat sich schon einmal darüber geärgert im Stau zu stehen, in München wird beispielsweise seit Jahrzehnten an einem Autobahnring geplant und gebaut. Peking hat jetzt schon sechs (!) Ringe und ein weiterer ist schon im Bau. 
Wie kann man sich eine chinesische Stadt am besten vorstellen? In Europa sind die meisten Städte gemächlich über Jahrhunderte hinweg gewachsen, Dörfer wurden Städte, kleine Städte wurden größer. Eine Planung im eigentlichen Sinne fand fast nie statt.
In China wurden die traditionellen Häuser meistens aus Holz gebaut. Das führte dazu, dass die Häuser und auch ganze Städte im Laufe der Zeit immer wieder völlig - viel häufiger als in Europa - abbrannten und zerstört wurden oder einfach in sich zusammenfielen. Pech für die Bewohner, aber ein Glück für jeden Städteplaner. Gerade in Nordchina kann man deshalb oft eine schachbrettförmige Stadtstruktur finden. Die Straßen verlaufen von Norden nach Süden und von Westen nach Osten. Diese Übersichtlichkeit führt dann aber auch dazu, dass die meisten Chinesen in Europa ziemlich orientierungslos sind. Peking wirkt perfekt geplant, andere Städte wie Shanghai, sind weit weniger ordentlich.
Um eine oft hypermoderne Skyline - ganz nach amerikanischem Vorbild - gruppieren sich die einzelnen Stadtteile - alles wirkt groß und supermodern. Die Städte sind in Stadtteile (qu - 区) eingeteilt, diese dann wieder in Viertel (xiao qu - 小区) dadurch wirken all diese Städte extrem ordentlich.
Früher wohnte man meist in ein- oder zweistöckigen Häusern mit Innenhof. Dass diese relativ flachen Häuser Standard waren, kann man auch daran erkennen, dass nicht einmal der Kaiser in seiner Verbotenen Stadt über keine hohen Gebäude verfügte. Im Gegensatz dazu planten die Europäer schon viel länger relativ hohe Gebäude, was man noch heute an allerhand Kirchen und Palästen, aber auch an bürgerlichen Häusern erkennen kann. In Europa gibt es auch hierfür berühmte Beispiele wie zum Beispiel die Wohntürme im italienischen Siena.
Durch das rasante Wachstum in den letzten Jahren sind diese Familienhöfe fast völlig aus dem Stadtbild verschwunden. Wenn man Chinesen fragt, was sie davon halten stößt man oft auf die verwundernde Antwort, es sei gut. In europäischen Augen wirken die sogenannten Hutongs als romantische, traditionelle Wohnform, die man unbedingt erhalten muss. In China dagegen sind die meisten Bewohner froh, aus diesen Häusern ausziehen zu können.
Sie gelten als unbequem und unmodern. Viele ehemalige Bewohner waren ziemlich glücklich als ihre Altstadt abgerissen wurde. Oft hatte es weder fließendes Wasser noch Toiletten oder Heizungen gegeben. Zu den ehemaligen Bewohnern kam der Luxus in Form neuer Eigentumswohnungen und mehr Komfort. So kann man auch besser verstehen, warum viele alte Stadtteile einfach so, ziemlich ohne Protest verlassen wurden.
Aber nicht nur die Wohnform an sich, sondern auch die Wohnungen sind anders als man das in Europa gewohnt ist. Neuere Wohnanlage verfügen meist über einen Sicherheitsdienst, Hausmeister und so weiter. Ältere Anlagen haben das nicht, deshalb sehen sie von außen oft ziemlich chaotisch aus. 
Innen dagegen wird nach dem Verfahren, my home is my castle, gehandelt. Alles muss blitzsauber und extrem ordentlich sein. Normalerweise muss man die Schuhe ausziehen, bevor man die Wohnung betreten darf. Wenn man in die Wohnung tritt, kommt man meist ins Wohnzimmer, von hier aus gehen die meisten Zimmer ab. Im Gegensatz zu europäischen Wohnungen ist die Küche ein wenig abseits untergebracht, in der Nähe des Balkons oder sogar auf dem Hausflur.
Interessanterweise sind chinesische Wohnungen meistens von Norden nach Süden ausgerichtet, um die Sonne, die als unangenehm empfunden wird, zu vermeiden. In Europa stehen sie eher in West-Ost-Richtung, um die Nachmittagssonne genießen zu können. Im sehr traditionellen Hong Kong hat die Feng-Shui-Lehre großen Einfluss auf die Bautätigkeit. So lässt man dort schon einmal ein großes Loch in der Fassade, um einem Drachen den Blick aufs Meer zu lassen. Mit der Rückbesinnung auf die traditionellen Werte, werden solche Ideen auch im Rest des Landes wieder ausschlaggebender.
Eine weitere Besonderheit chinesischer Wohnungen, ein Relikt aus planwirtschaftlicher Vergangenheit - und das mag so manchen verwöhnten Europäer schocken - Heizungen gibt es nur im Norden.
Was in der tropischen Umgebung Hong Kongs kein größeres Problem darstellt, ist im winter-feucht-kalten Klima Shanghais extrem unangenehm. Auch bei Temperaturen um den Gefrierpunkt, keine Heizung. Aber Chinesen wären keine Chinesen, wenn sie sich nicht auch in dieser Situation zu helfen wüssten. Die Lösung heißt Elektroheizlüfter oder warme Klimaanlage. Das produziert natürlich einen äußerst hohen Stromverbrauch. Andererseits kann ein großer Teil des Landes so aber darauf verzichten, Kohle, Gas oder Ähnliches zu verbrennen.
Wenn Ladenbesitzer aber beispielsweise sparen, kann es unangenehm kalt werden. 
Durch den rasanten Wirtschaftsaufschwung hat sich aber in den vergangenen Jahren der Standard der meisten Wohnung zusehends verbessert. Das kann man auch an den Toiletten feststellen. Während Straßen-, Bahnhofs- und auch Restauranttoiletten bis heute ein Abenteuer sind, sind private Toiletten meist peinlichst sauber.

 

 

 

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Sauberkeit ist in China sowieso ein ganz spezielles Thema. Das betrifft nicht nur die Tischsitten, sondern ist eher ein Phänomen im Allgemeinen. Viele ausländische Besucher berichten von gar außergewöhnlichen Sitten der Chinesen bei Tisch, aber auch auf der Straße, wenn es um das Thema Sauberkeit geht. Aber genauso bizarr, wie uns die chinesischen Gewohnheiten vorkommen, so komisch finden uns wiederum auch viele Chinesen. Es seien nur ein paar Beispiele genannt, an denen sich die Geister scheiden:
China gilt als die Heimat der Straßenküchen und des Spuckens. Das sind die zwei vielleicht interessantesten, aber auch umstrittensten Phänomene, auf die man im Reich der Mitte stößt.        
Wann immer man Chinesen trifft, kommt früher oder später der Kommentar, dass etwas nicht sauber genug sei, vor allem außerhalb der Wohnung.
Eines der großen Tabus ist das Schnäuzen. Während es für die meisten Europäer ganz normal ist, sich die laufende Nase mit einem Taschentuch zu putzen, empfinden das die meisten Chinesen als äußerst ekelhaft, den Schleim hoch ziehen - ich kann mich daran erinnern, dass ich gerade dafür als Kind drakonische Strafen erhielt - oder an jedem beliebigen Ort auszuspucken, ist dagegen völlig in Ordnung. Rülpsen und Schmatzen, zwei weitere Totaltabus meiner Kindheit, sind auch kein Problem.
Ein anderer Punkt, den ich schon früh in meiner Kindheit lernte, war, dass man Essensreste am Tellerrand deponiert, damit die Tischdecke nicht schmutzig wird, in China dagegen ist es Sitte, Essensreste direkt auf den Tisch zu spucken, damit der Teller sauber bleibt, aus dem man isst. Fragt sich hier, welche Alternative die bessere ist?
Der Albtraum vieler Chinareisender, die Stäbchen, es dauert sicher einige Zeit bis man das Essen mit den beiden klitschigen Stangen beherrscht. Doch damit ist das Stäbchenbeherrschen noch nicht vollkommen. Da alle aus dem Topf oder vom selben Teller essen, sollte man die Stäbchen auf keinen Fall zu weit in den Mund schieben. Pfui! Mit den Fingern Essen anzufassen ist ebenfalls pfui. Wenn man seine Hähnchenkeule aber beispielsweise abgenagt hat, kann man sie getrost neben seinen Teller auf den Tisch spucken. Na dann, Mahlzeit!
Die manchmal bizarr anmutenden Reinlichkeitsregeln machen jedoch an den Türen der Restaurants nicht halt, diese Türen sind dagegen eher der Eingang zu einer Welt, die von völlig anderen Sauberkeitsvorstellung dominiert wird.
Man sollte sich nicht wundern, wenn ein Tee trinkender Busfahrer, die versehentlich mit getrunkenen Teeblätter aus dem fahrenden Bus spuck oder wenn jemand - wie in der Hauptstadt Peking beobachtet - im Bus seine Zähne putzt und die davon entstehenden Rest durch ein Loch im Boden aus dem Bus spuckt. Konfrontiert mit so viel Spucken und anderen unappetitlichen Manieren, sind viele Menschen geradezu übersauber. Bevor sich Chinesen im Freien setzen, wird oft einmal die Parkbank gereinigt, was viel Europäer auch wieder schockt.
In der Modewüste Deutschland ist man sowieso verwundert, wenn man sieht, dass ein ganzes Land, vor allem eines, in dem die Menschen meist nicht so reich sind, versuchen, möglichst gut auszusehen. Und das betrifft nicht nur die Frauen - die ohnehin einen sehr guten Geschmack haben. Auch Männer tragen zu allen Anlässen dunkle Anzüge und Lederschuhe. Im Paradies der Baustellen, China, ist das aber oft eine schlechte Idee. Sand und Schlamm verwandeln so manches edle Kleidungsstück in eine schmutzige Karikatur seiner eigenen Eleganz. Das Ergebnis: staubige Anzüge und schlammige Schuhe.
Apropos Staub, auch so manche Stadtverwaltung scheint dieses Problem schon erkannt zu haben. So lassen sich auch nächtliche Straßenschruppaktionen erklären. Interessanterweise findet man neben so mancher blitzblank geputzten Straße Baustellen, die alle Sauberkeitsaktionen wieder zu nicht machen.
Wenn man die europäische Presse etwas genauer betrachtet stößt man immer wieder auf Bilder von - meist Frauen - mit Mundschutz. Dieser wird oftmals aber nicht gegen Staub, sondern vielmehr gegen die Kälte getragen.

 

 

 

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Doch kehren wir kurz zurück in die private Wohnung. Während der öffentliche Raum manchmal eher das Prädikat komisch oder sogar eklig verdient, entsprechen vor allem die privaten Wohnungen völlig den westlichen Standard. Statt Plumpsklos gibt es normale Sitzklos, auch gibt es natürlich Toilettenpapier und alles wurde peinlichst geputzt; frei nach dem Motto: my home is my castle!
Anders als im Westen duscht man normalerweise nicht am Morgen, sondern eher am Abend, was aber auch wieder sinnvoll scheint, wenn man die nicht wirklich sauberen Straßen betrachtet.
Zu Beginn des Kapitels hatten wir gesehen, dass man im Allgemeinen in einem Qu (区) oder einem Xiao Qu  (小区) lebt. Heute bestehen diese Stadtteile meist aus Wohnblock, Plattenbauten soweit das Auge reicht, dazwischen entstanden in den letzten Jahren immer mehr Hochhäuser, Wolkenkratzer und Shopping Malls. Überhaupt erscheint eine chinesische Stadt viel urbaner als eine mitteleuropäische zu sein. Chinesische Städte sind eher mit den großen Städten Südeuropas zu vergleichen. Dementsprechend herrscht auch eine verbreitete Stadtkultur. Einzelhäuser mit Garage und Garten sind unerschwinglich teuer. Außerdem genießen viele lieber den Komfort der Stadt - und der Run auf die Städte hält unvermindert an. Jedes Jahr ziehen mehr und mehr Landbewohner in die Stadt. 
In den meisten westlichen Ländern gab es lange Zeit eine Bewegung aus der Stadt auf das Land. In China war davon bis jetzt nichts zu spüren, eher das Gegenteil, das Stadtzentrum ist noch immer die teuerste Wohnlage, wo vor allem die reicheren und gebildeteren Schichten leben. In den letzten Jahren wurde zwar viel in neue U-Bahn-Linien und in die Infrastruktur im Allgemeinen investiert, aber dennoch wird die Verkehrsanbindung mit jedem Meter, den man sich vom Zentrum entfernt schlechter oder man braucht einfach zu lange, um zu seinem Arbeitsplatz zu gelangen. Dementsprechend verhält es sich auch mit den Preisen, extrem hohe Mieten im Zentrum, billige Wohnquartiere am Stadtrand.
So lässt sich in manchen Stadtteilen die extreme Bauwut erklären. Gelegentlich werden Häuser, die erst zehn Jahre alt sind abgerissen. Sie machen noch größeren, noch moderneren Gebäudekomplexen Platz. Die Städte entwickeln sich uneingeschränkt. Übertriebene europäische Bauvorschriften sind den meisten Chinesen nur schwer zu vermitteln; modern und schick sind die Maßstäbe, nach denen sich die Stadtplanung zu richten hat.
Vor allem in den großen Städten an der Küste kann man nicht unbedingt sofort erkennen, dass man sich in China befindet. Doch mit jedem Kilometer, den man sich von den großen Bevölkerungszentren des Ostens und des Südens entfernt, desto chinesischer, nach europäischem Verständnis, werden die Städte und vor allem das Land.
Greifen wir einfach zwei Beispiele heraus. Unter vielen Chinesen gilt die zentralchinesische Provinz Anhui als Inbegriff der Unterentwicklung und der Armut. Zum Teil mag das ja sicher auch stimmen, vor allem verglichen mit Shanghai oder Hong Kong.
Aber gerade dort im Schatten des Huang Shan-Massivs hat sich eine sehr traditionelle Wohnform erhalten. In der Bergregion stehen noch immer fast ausschließlich Bauernhäuser im typischen regionalen Stil: braun lackierte Ziegeldächer, hübsche Giebel mit Drachenfiguren, Mondtore und so weiter, das ganze Programm der traditionellen chinesischen Baukultur.
Noch viel ursprünglicher sind manche Gebiete der Provinz auf halbem Wege zwischen Shanghai und Guangzhou in Südostchina.    

 

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